Gedanken

Die Selbstverständlichkeit des Reisens

Die Selbstverständlichkeit des Reisens

Ganz plötzlich ist unsere Reisefreiheit beschnitten. Wir können und sollen nicht mehr Reisen. Grenzen sind geschlossen, Flugzeuge am Boden. Was macht das mit uns?

Die ganze Welt ist nur ein Katzensprung entfernt. Ein paar Stunden nach Rio de Janeiro oder Singapur, Lissabon liegt gleich um die Ecke. Die Safari in Südafrika ist genau so machbar wie eine Expedition in die Arktis. Wir jetten um die Welt und wir können alles erleben was wir wollen. Mit meinem Schweizer Pass wird mir kaum irgendwo die Einreise verwehrt.

Ich bin es mir gewohnt, dass ich hinreisen kann, wo ich will und wann ich will. Die Welt steht mir offen, ich kann kommen und gehen wie es mir beliebt. Dass das ein Privileg und nur durch Zufall so ist, ist mir durchaus bewusst. In bin in der Schweiz geboren und meine Reisefreiheit habe ich nur deswegen. Es ist pures Glück.

Jetzt ist diese Freiheit plötzlich weg. Ich muss zu Hause bleiben und darf nicht reisen. Die Grenzen sind für touristische Übertritte geschlossen, ganze Flotten an Flugzeugen, ja ganze Airlines stehen am Boden. Züge verkehren nicht mehr in andere Länder und auch im Inland ist der öffentliche Verkehr ausgedünnt. Wir können nicht mehr reisen. Es betrifft die ganze Welt. Aus einer Selbstverständlichkeit ist ein No-Go geworden. Die Welt ist plötzlich wieder gross und Malaysia oder Peru scheinen weit weg zu sein.

Die Selbstverständlichkeit des Reisens

Schöne Zeit am Meer…

Wenn die Freiheit nicht mehr grenzenlos ist

Mein Bewegungsradius ist zur Zeit sehr klein. Er beschränkt sich auf meine Stadtwohnung mit einem kleinen Balkon. Das erste Mal in meinem Leben beneide ich jetzt Leute mit Einfamilienhaus, dass irgendwo im Grünen steht oder zumindest einen Garten hat. In dieser Zeit Kinder zu haben ist Glück und Unglück gleichermassen. Wir sind zu viert in unserer Wohnung eingesperrt und können uns kaum ausweichen. Wir kriegen alles, wirklich alles voneinander mit und werden gerade wieder einmal in Sachen Toleranz gefordert. Andererseits sind Kinder ein legitimer Grund rauszugehen. Jedenfalls eine Zweieinhalbjährige. Es wäre kaum machbar, mit ihr nicht rauszugehen.* So sind wir doch jeden Tag draussen, wählen wenn möglich Randzeiten aus, meiden Spielplätze und gehen dahin, wo es so wenig Leute wie möglich hat. In der Stadt gar nicht mal so einfach.

*Ich weiss, dass es zur Zeit viele Familien gibt, die genau das machen müssen und Ausgangssperre haben. Zum Beispiel in Spanien oder Italien. Ich kann es mir kaum vorstellen.

Ich sehe jetzt seit Wochen immer nur dieselben vier Wände, dieselbe Strasse und keine anderen Menschen. Meine bisher so selbstverständliche Freiheit ist plötzlich weg und auf ein paar Quadratmeter geschrumpft. Ein Ausweg ist nicht möglich. Keine Wanderung in den Bergen um den Kopf freizukriegen. Kein spontaner Städtetrip nach Frankreich, kein Freund:innen besuchen in Deutschland. Alle Reisen bis auf weiteres gestrichen. Wann das alles wieder machbar ist, weiss niemand. Zuversichtliche Schätzungen gehen von einer Lockerung der Reisebeschränkungen nach Ostern aus. Pessimistische Stimmen sehen Überseereisen erst im nächsten Jahr als Wahrscheinlichkeit an und auch dann nur mit Restriktionen. 

Kann uns der Verzicht auch weiterhelfen?

Ich habe in den letzten Wochen viel über das Reiseverhalten nachgedacht. Von anfänglicher Motivation à la „Wir schaffen das und bleiben zu Hause“, hin zu „Das Ganze ist doch völlig übertrieben“ bis zu „Was können wir daraus lernen“, war wohl alles dabei. Wie wahrscheinlich bei den meisten Menschen ist der Lockdown auch bei mir ein stetiges auf und ab der Gefühle.

Obwohl es eine Welle der Entschleunigung gab, galt im Bezug auf das Reisen in den letzten Jahren vor allem: höher, schneller, weiter. Wer ist weiter weg, öfter weg, hat mehr gesehen, mehr bereist. Quantität vor Qualität, Hauptsache mehr Länder von der Bucket List gehackt. Eine Entwicklung, die ich sehr bedaure. Kaum jemand nimmt sich mehr die Zeit, sich auf ein Land und seine Bewohner einzulassen. Wer übernachtet noch bei Einheimischen? Wer trifft sich mit Leuten vor Ort? Wer wirft mal spontan Pläne und Reiserouten über Board und bleibt einfach da, wo es gerade schön ist? Ist es möglich, dass unser erzwungenes Ruhen auch die Chance für echte Entschleunigung – fern von marketingtauglichen Wellnessangeboten und Yoga Retreats – bietet? Können wir auf Reisen wieder etwas mehr unsere Augen und Herzen öffnen?

Die Selbstverständlichkeit des Reisens

Schön wärs jetzt am Meer….

Wenn wir endlich wieder reisen können….

„Dream now, travel later“, hat sich die Industrie für die jetzige Zeit ausgedacht. Obwohl wir alle gerade damit beschäftigt sind irgendwie durch den komischen Alltag zu kommen, stellt sich auch bei mir wieder öfters die Reiselust ein. Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie meine Gedanken in ferne Länder schweifen und ich im Kopf Ziele für kommende Trips durchgehe. Wieder einmal mein geliebtes Nepal bereisen, unseren Kindern Nicaragua zeigen und endlich wieder Surfen in Portugal! Was gäbe ich jetzt dafür, wenn wir weg könnten. Am liebsten möchte ich alle Sachen packen und für die nächsten paar Monate unterwegs sein. Immer den Wellen nach, den ganzen Tag Surfen und Sandburgen bauen…. 

Diese Zeit zeigt mir, wie gerne ich immer noch unterwegs bin, wie wichtig das Reisen für mich ist. Und wie sehr ich diese Liebe meinen Kids mitgeben möchte. Und wie sehr ich die Wellen vermisse. 

Ich bin dankbar für unsere Freiheiten, auch wenn wir sie im Moment nicht leben können. Die Zeit des Unterwegs sein kommt wieder. Ich hoffe, dass wir dann alle wieder Reisen und unseren wundervollen Planeten bestaunen können. Und dann vielleicht sogar etwas bewusster, langsamer und mit mehr Dankbarkeit für all unsere Privilegien.

Wie selbstverständlich ist das Reisen für dich?

Über die/den Autor/in

Früher als soloreisende Backpackerin, bin ich heute am liebsten mit der ganzen Familie unterwegs. Ich lebe, reise und arbeite auf der ganzen Welt und geniesse es, Jürgen und unsere Kids immer mit dabei zu haben. Mein Herz schlägt für Hawaii, Kryptowährungen und Schokoladeneis. Mein Ziel ist finanzielle Freiheit für mich und meine Familie.

7 Kommentare

  • Step
    6. April 2020 um 21:52

    Könnte ich geschrieben haben diesen Artikel (mal abgesehen vom Kinder Kapitel)…..schon erstaunlich, wie ähnlich wir beide oft ticken….

    Hab in meinem Hobby Blog übrigens in den ersten Wochen auch ein Corona Tagebuch geschrieben – war eher sehr verzweifelt was ich da verfasst habe. Habe aus gegebenem Anlass jetzt aber damit aufgehört und mich seither ein wenig beruhigt. Falls es dich interessiert….

    https://stepowitsch.weebly.com/

    Antworten
    • Sarah Althaus
      7. April 2020 um 12:42

      Ich habe mal in deinem Corona-Tagebuch gestöbert… Ich kann es verstehen! Es passiert viel mit uns in diesen Zeiten. Manche Tage sind einfach, andere wiederum schwierig. Momentan läuft es bei mir immer besser, da ich mich etwas mehr in die Situation geben kann. Aber mein Fernweg und mein Bedürfnis zu Reisen steigt stetig. Das schöne Wetter tut da natürlich auch einiges zur Sache. Ich freue mich schon jetzt, wenn wir endlich wieder reisen dürfen!

      Antworten
  • Titus von Unhold
    6. April 2020 um 22:21

    Ich bin 36 und noch nie verreist und verstehe auch nicht warum Menschen das machen. ^^

    Antworten
  • Andrea
    7. April 2020 um 21:49

    Wir mussten unsere Reise abbrechen. 2 Tage lang stand ich quasi unter Schock, denn zwischen der Empfehlung des BR heimzureiseb, Hotelannullation, Flugbuchung für die Heimreise und die Fahrt an den Flughafen lagen gerade mal 45 Minuten..

    Es hat sehr geschmerzt Kolumbien zu verlassen – auch wenn es die richtige Entscheidung war. Ich freu mich auf ein Leben danach. Aufs Couchsurfing, aufs Leute treffen und auch ein wenig aufs wellnessen…

    Antworten
    • Sarah Althaus
      13. April 2020 um 13:40

      Ich kann mir gut vorstellen, wie stressig die Situation gewesen sein muss. Auch ich freue mich auf das Leben nach dem Corona-Ausnahmezustand… Hoffen wir bald!

      Antworten
  • KiTho
    18. April 2020 um 21:49

    Du hast eine sehr informative Seite, super gestaltet und viele interessante Berichte. Toll! Und gerade jetzt zur Corona-Zeit hast Du die Gedanken aufgeschrieben, welche uns alle bewegen … Was erwartet uns? Wie wird die Welt danach sein?
    Wir wollten eigentlich jetzt richtig anfangen und unseren Blog umgestalten und unsere Erlebnisse sortieren und auch für Reisende aufschreiben, aber … dann kam Corona 🙁
    Leider haben wir unsere Weltreise vorzeitig beenden müssen und sind mit dem letzten Flieger aus Australien (Rückholprogramm) zurück nach Deutschland.
    Aber, wir sind froh über das, was wir in den letzten 8,5 Monaten noch erleben durften … unsere Reiseberichte haben wir auf http://www.weltweg.de dokumentiert.
    Bleib gesund und viel Erfolg weiterhin …
    Kirsten & Thomas

    Antworten

Kommentieren