Indien

Warum in Indien die Soldaten an der Grenze tanzen

Beine hoch, Grimassen schneiden und gefürchig dreinschauen gehört zum Programm

Amritsar hat eine ganz besondere Lage in Indien und es gibt hier auch einiges ganz besonderes zu sehen. Die Stadt liegt an der Grenze zu Pakistan, von dort sind es nur noch ein paar Kilometer bis nach Lahore. Und genau darum hat die Stadt, nebst dem goldenen Tempel der Sikhs, an Berühmtheit erlangt: Wegen ihren tanzenden Soldaten an der Grenze. Von Amritsar aus lässt sich die allabendliche Grenzzeremonie ohne Umstände besuchen. Aber eins nach dem andern jetzt. Denn bevor ich dir genauer von ihnen erzähle, musst du ein paar Dinge wissen.

 

Wissenswertes

Amritsar liegt im Nordwesten von Indien, genau an der Grenze zu Pakistan, gegenüber von Lahore. Man kommt dort ganz einfach hin, am besten per Auto oder per Eisenbahn.

Um den Soldatentanz, der jeden Abend an der Grenze aufgeführt wird zu verstehen, ist ein bisschen Hintergrundwissen notwendig. Denn halbwegs nachvollziehen kann man das Ganze nur, wenn man weiss, was dahinter steckt.

Als 1947 die britische Kolonialherrschaft in Britisch-Indien beendet wurde, wurde der Subkontinent in Indien und Pakistan aufgeteilt. Und sozusagen seit Geburtsstunde sind das hinduistische Indien und das moslemische Pakistan bis aufs Blut verfeindet – zwei Atommächte die sich eine Grenze teilen und sich nicht leiden können. Nicht nur einmal hat sich der ganze Westen vor einem Atomkrieg der beiden Nationen gefürchtet, auch wenn diese immer wieder beteuern, ihre Atomwaffen nur zur Abschreckung zu benutzen.

Drei mal haben sich die beiden Nationen bis heute in einen offiziellen Krieg befunden. Immer geht es um Landrechte, in erster Linie um die Region Kashmir. Nach dem ersten Krieg, der nur zwei Monate nach den Staatsgründungen begann, wurde die Region unter Mithilfe der UNO geteilt und wird jetzt von Indien, Pakistan und China zu ungleichen Teilen verwaltet, was natürlich auch immer wieder für Zündstoff sorgt.

Der letzte offizielle Krieg hat 1971 stattgefunden, als sich Ostpakistan als unabhängige Volksrepublik Bangladesch ausgerufen hat. Seitdem ist es mal ruhiger, mal weniger und manchmal, wie zuletzt 1998, sehr instabil. Die Beziehung der beiden Länder ist nach wie vor angespannt, aber zur Zeit friedlich.

Soldat an der indisch-pakistanischen Grenze

Soldat an der indisch-pakistanischen Grenze

 

Soldatentanz an der Grenze Indien/Pakistan

Jeden Abend strömen tausende von Menschen auf die Tribünen an der Wagah Grenze zwischen Indien und Pakistan. Touristenbusse werden angekarrt, Taxis rollen an und wüsste man nicht, dass das Ganze eine hochoffizielle Zeremonie ist, könnte man sich auf einem Volksfest wähnen. Aber das Schauspiel auf das alle aus sind, ist die allabendliche Militärparade von Indien und Pakistan.

Eigentlich ist es eine Zeremonie um die Flaggen beider Länder einzuholen und bis zum nächsten Hissen am Morgen aufzubewahren. Aber wieso so einfach und trocken, wenn es auch mit einem riesen Tara geht?

Ein begeistertes Publikum, dass gespannt auf die allabendliche Zeremonie wartet

Ein begeistertes Publikum, dass gespannt auf die allabendliche Zeremonie wartet

Die eigentliche Zeremonie des Fahneneinholens beginnt erst bei Sonnenuntergang. Die Plätze auf den Tribünen sind aber in Indien und Pakistan bereits Stunden vorher voll besetzt. Und es wird in der sengenden Sonne gewartet. Aber dem Zuschauer wird allerlei Nationalistisches geboten. Es gibt kurze Reden, Tänze von Schulklassen, was ja noch ok ist. Aber hier tanzen sogar die Soldaten zu einem rassigen Punjab Song. Da habe ich nicht schlecht gestaunt.

Tanzende Soldaten an der Grenze in Indien

Tanzende Soldaten an der Grenze in Indien

Hohe Persönlichkeiten nehmen auf einem Podest platz und werden umworben, jedenfalls sieht es so aus. Stunden vergehen so, aber langweilig ist es nicht. Es gibt immer etwas zu sehen und sonst fängt bestimmt jemand an “Hindustan”-Chöre zu brüllen. Was dann natürlich von weiteren Kehlen aufgenommen werden muss.

Direkt an der Grenze... Nur ein paar Meter weiter ist bereits Pakistan

Direkt an der Grenze… Nur ein paar Meter weiter ist bereits Pakistan

Gleiches Schauspiel ist ein paar Meter weiter in Pakistan zu bezeugen, gleicher Rummel, gleiche Chöre, nur das Frauen und Männer dort getrennt sitzen. Nur ein paar Schritte weiter und das Leben sieht total anders aus… Aber weder die eine, noch die andere Seite ist weniger nationalistisch und die Zuschauer versuchen sich in ihren Sprechgesängen zu übertönen.

Allabendliche Zeremonie in Amritsar an der Grenze zu Pakistan

Allabendliche Zeremonie in Amritsar an der Grenze zu Pakistan

Tänze, Fahnenschwingen und Lieder gehören zum Vorprogramm der eigentlichen Zeremonie

Tänze, Fahnenschwingen und Lieder gehören zum Vorprogramm der eigentlichen Zeremonie

Wenn die offizielle Zeremonie dann aber beginnt, ist die Luft durch gespannte Stille geprägt, bevor es dann nochmals so richtig losgeht, es zur Parade der Soldaten wird geschrien, geklatscht und skandiert.

Einer nach dem andern stolzieren sie mit Anlauf zum Grenztor, vor welchem sie eigenartige Faxen aufführen: Beine hoch in die Luft, mit den Fäusten auf die Brust trommeln und furchterregende Grimassen schneiden. Gleichzeitig passiert dasselbe auf der pakistanischen Seite. Die Soldaten beider Seiten laufen aufeinander zu und wollen ihre Stärke demonstrieren. Wer ist stärker, furchteinflössender? Wer lässt die Muskeln eindrucksvoller spielen?

Allabendliches Kräftemessen an der indisch-pakistanischen Grenze

Allabendliches Kräftemessen an der indisch-pakistanischen Grenze

Im Hintergrund immer wieder die lauten Rufe der nationalistischen Inder, die sich das Schreigefecht mit den Pakistani liefern. Völlig blöd das Ganze, denke ich mir. Aber dennoch ist es eindrücklich und wer in Amritsar ist, sollte sich das Spektakel nicht entgehen lassen.

Beine hoch, Grimassen schneiden und böse dreinschauen gehört zum Programm

Beine hoch, Grimassen schneiden und böse dreinschauen gehört zum Programm

Da in dieser Action und von einem willkürlichen Platz aus das Fotografieren nicht immer ganz einfach ist, hier ein Video zur besseren Vorstellung was da eigentlich genau abgeht:

Die ganze Vorstellung gipfelt sich schlussendlich kurz vor Sonnenuntergang, wenn dann enddlich die Flaggen der beiden Länder runtergeholt werden. Aber auch hier gilt: Es soll ja synchron sein! Wehe die Flagge des anderen Landes ist früher unten, das käme ja einem Skandal gleich. Also zieht sich auch das etwas in die Länge.

Das Flaggeneinholen jeden Abend an der Grenze bei Amritsar

Das Flaggeneinholen jeden Abend an der Grenze bei Amritsar

Ohne Zweifel, die ganze Aktion ist mehr als nur komisch. Dieses Schauspiel findet ja auch nicht nur einmal im Jahr statt, sondern jeden einzelen Abend. Da taucht schnell mal die Frage nach dem Sinn auf. Oder den Kosten. Oder der Vernunft.

Aber eigentlich nützt es nichts darüber zu grübeln. Tausende Leute geniessen diese Unterhaltung jeden Abend und wenn du in der Nähe bist, solltest du die tanzenden Soldaten von Amritsar auf keinen Fall verpassen.

Über die/den Autor/in

Früher als soloreisende Backpackerin, bin ich heute am liebsten mit der ganzen Familie unterwegs. Ich lebe, reise und arbeite auf der ganzen Welt und geniesse es, Jürgen und unsere Kids immer mit dabei zu haben. Mein Herz schlägt für Hawaii, Kryptowährungen und Schokoladeneis. Mein Ziel ist finanzielle Freiheit für mich und meine Familie.

4 Kommentare

  • Reiner
    20. November 2014 um 0:13

    Es ist schon erstaunlich, was für kuriose Zeremonien es so gibt.Davon habe ich noch nie gehört oder gelesen. Wirklich völlig absurd das ganze Schauspiel, aber der Händedruck im Video zwischen den beiden Soldaten am Schluss nimmt dem Ganzen dann doch wieder die Aggressivität und es wirkt dadurch wirklich eher wie ein Schauspiel und nicht eine Anfeindung beider Länder. Man kann nur hoffen, dass die Zuschauer es ähnlich sehen und bei allem nationalistischem Rummel der Respekt trotzdem immer erhalten bleibt. Nach Indien muss ich jedenfalls auch unbedingt noch und glaube, dass es wohl auch eine Reise allein sein wird. Habe mir schon den anderen Beitrag durchgelesen über deine Alleinreise in Indien und finde es sehr spannend.

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    • Sarah
      20. November 2014 um 8:23

      Ja, die ganze Zeremonie ist absurd. Es gibt auch Politiker in Indien, die sich für eine Mässigung der Zeremonie einsetzen. Aber bei der Begeisterung die dort jeden Abend herrscht, kann ich mir eine Mässigung nur schwer vorstellen. Obwohl das Ganze eine Militärparade ist, hat es doch eher die Stimmung eines Volksfestes. Schau vorbei, wenn du dort bist.

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  • […] Kulturen in Kontakt, die Landschaften wechseln sich ab und es gibt Hughlights wie die Zeremonie an der pakistanischen Grenze, den Tempel der Sikhis in Amristar oder den Sitz des Dalai Lamas zu erleben. Das Schönste ist aber […]

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  • J.S.
    31. August 2019 um 12:53

    Ich war auch dort, es ist mega spannend. Aber was mir erst Wochen später in den Kopf kam: die Zeremonie läuft auf beiden Seiten exakt gleich ab. Bzw. abwechselnd. Dafür müssen Pakistan und Indien mindestens einmal an einen Tisch gesetzt haben, um zu überlegen wie der Ablauf aussehen soll. Solch eine Perfektion kann nicht durch Zufall entstehen. Wie viel Ablehnung gibt es, wenn durch Zusammenarbeit so eine erfolgreiche Zeremonie auf die Beinge gestellt wird.

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