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Warum ich mir das mit dem Reisen eigentlich antue

Weltreise Rückblick II: Auf nach Amerika

Es ist eine essentielle Frage: Warum tut sich jemand eine Reise an? Warum nimmt ein Mensch sowas auf sich? Was ist der Sinn dahinter? Es ist doch eigentlich viel bequemer zuhause zu bleiben.

Es gibt ja ganz unterschiedliche Arten des Reisen. Man kann mit dem Wohnmobil rumtouren, All-Inclusive Urlaub machen, Backpacken, Partyferien und was weiss ich noch alles. Wovon ich hier rede, ist die Langzeitreise. Ich rede von den Menschen, die in ihrem Heimatland einen Job aufgeben, eine Wohnung, vielleicht sogar ihr Haus verkaufen und ihre Lieben alleine zurücklassen. Ich rede von den Menschen, die auf unbestimmte Zeit in die Welt verschwinden. Ich rede von Menschen wie mir.

In der Welt unterwegs.

In der Welt unterwegs.

Reisen ist mühsam. Das von Ort zu Ort ziehen, stundenlange Fahrten, das Fremdsein, die Warterei. Was also ist der Antrieb dahinter?

Ja, wir wollen bestimmt alle die tollen Länder bereisen, neue Kulturen kennenlernen und Menschen treffen, die eine andere Sprache sprechen und von deren Weltanschauung lernen. Wir wollen Berge besteigen, Wüsten durchqueren und die tollsten Strände finden. Es gibt da auch ganz ehrgeizige Ziele, wie alle Länder einmal zu besuchen oder alle Achttausender zu besteigen.

Aber das kann man ja auch machen ohne gleich alles aufzugeben, oder? Was also soll das Ganze? Warum steigen immer mehr Menschen aus? Wovon laufen wir davon? Was suchen wir? Oder haben wir vielleicht gar nichts mehr zu verlieren?

Das sind weniger Fragen die ich mir stelle, als Fragen, die immer wieder irgendwo auftauchen. Ich werde darauf jetzt auch keine Antwort geben. Ich will eher der Substanz des Reisens auf den Grund gehen. Warum gibt es Menschen mit konstantem Fernweh, während andere das Wort noch kaum mal benutzt haben? Ist das angeboren? Ein Gendefekt? Ist es in unserer DNA verankert? Nomaden hat es schliesslich schon immer gegeben, schon unsere Vorfahren sind in der Welt herumgezogen und die Neugier, wissen zu wollen, was hinter der nächsten Ecke liegt, ist uns ja auch nicht fremd.

Anstatt noch mehr Fragezeichen aufzuwerfen, möchte ich dir sagen, warum ich mir das eigentlich antue. Diese Gedanken beziehen sich nur auf mich. Für dich ist das vielleicht ganz anders. Aber für mich ist Reisen gleichbedeutend mit Freiheit.

Die Freiheit die sich beim Reisen für mich eröffnet, kann ich kaum greifen. Sie ist das höchste Gut, mein Weg zur Selbstbestimmung. Gerade bei einer Langzeitreise, ob diese nun ein paar Monate oder ein paar Jahre dauert ist egal, muss ich so sehr mit meiner Freiheit kämpfen, dass ich sie manchmal, in ganz kurzen Momenten, nicht mag. Ich mag mich nicht entscheiden, ich mag nicht verantwortlich sein. Ich will meinen geregelten Arbeitstag, einen Fernseher und einen vollen Kühlschrank mit meinem Lieblingsessen. Meine eigene Matratze im Bett und die beste Freundin, bei der ich mich auskotzen kann. Nicht den hell schimmernden Strand, nicht die verdammte Hitze.

Ja, die Augenblicke sind zwar selten, aber es gibt sie. Ich sehne mich nach dem Korsett des Normalen, das, welches ich so mühsam abgestreift habe. Jahrelang habe ich es runtergeschält von mir, Stück für Stück, bin es losgeworden. Doch dann erkenne ich, warum es so schwer ist, daraus auszubrechen. Warum es so viele gefangenhält: Es ist so bequem. Man ist darin gefangen und hat es gut dabei. Alles normal, alles gut, nicht viel denken.

Es sind dann genau  diese Augenblicke, wo ich die Freiheit am besten fühlen kann. Wo ich merke, wie viel Wert sie hat, was sie mir bedeutet und wieso ich mir das alles eigentlich antue. Denn genau dann habe ich die Freiheit, oder die Wahl, mich entscheiden zu dürfen. Ich kann mich entscheiden aufzugeben, mich selbst zu verlassen und mich wieder mit dem Korsett zu binden. Ich kann den Konsum, das Nehmen, das Reinstopfen, die Gedankenlosigkeit des Alltags wieder an erste Stelle setzen (wenn auch vielleicht unbewusst). Oder ich entscheide mich für die Schönheit der Welt, der Menschen, für das Geben, für das Erleben und für das bewusste Leben.

Denn genau das beinhaltet die Freiheit des Reisens. Und genau darum mache ich es, nein, kann ich nicht anders als es zu tun. Um das Schöne zu spüren, die Liebe zu fühlen. Um mich täglich neu überraschen zu lassen und die Neugier anzustacheln.

Du sagst, das kann man auch zuhause machen, ohne in der Gegend rumzureisen? Ja, stimmt. Aber daheim herrscht der Alltag und so ist es viel schwieriger. Ich muss Reisen um zu lernen. Nicht nur um zu lernen ein besserer Mensch zu werden, auch um mich selbst zu formen. Ich werde dann nicht geformt, sondern tue es selber. Ist das nicht ein wesentlicher Unterschied?

Um eines klarzustellen: Ich bin kein besonders spiritueller Mensch. Ich meditiere nicht, ich glaube an keinen Gott, nicht mal an eine höhere Macht und ich bin auf keiner Mission. Meine Weltreise ist kein krasser Trip auf dem ich mich selbst finden will. Ich habe mich längst gefunden. Ich werde auch kein Buch darüber schreiben, versprochen! Aber die Frage warum man etwas tut, stellt sich doch jeder. Und das ist auch beim Reisen so.

Reisen befreit ungemein von Zwängen. Natürlich legt man sich Zwänge in der Regel selber auf. Das ist schon nur daher nötig, um sich in eine Gesellschaft einzugliedern. Das ist in jedem Land und in jeder Gesellschaft so. Schliesslich braucht es Normen, an denen man sich orientieren kann, was ja auch gut ist.

Wenn aber diese Zwänge auf Reisen plötzlich von einem abfallen, was ist man dann noch? Was, wenn plötzlich der Besitz fehlt, man sich nicht mehr über den Job definieren kann und alle Diplome und Zeugnisse plötzlich an Bedeutung verlieren? Was, wenn man sich nicht mehr über Status und Einkommen profiliert? Und genau da wird es dann spannend. Denn was jetzt übrig bleibt, das bist du.

Aber um auf die eigentliche Frage zurückzukommen: Warum tue ich mir das mit dem Reisen denn nun an? Ich reise, um innerlich zu wachsen. Ich reise, um zu leben. Oder lebe ich um zu Reisen? Schlussendlich glaube ich, ich reise einfach um des Reisens willen.

 

Über die/den Autor/in

Früher als soloreisende Backpackerin, bin ich heute am liebsten mit der ganzen Familie unterwegs. Ich lebe, reise und arbeite auf der ganzen Welt und geniesse es, Jürgen und unsere Kids immer mit dabei zu haben. Mein Herz schlägt für Hawaii, Kryptowährungen und Schokoladeneis. Mein Ziel ist finanzielle Freiheit für mich und meine Familie.

12 Kommentare

  • Eve
    25. Mai 2014 um 11:04

    Sehr schöner Artikel 🙂
    Du bringst es genau auf den Punkt!
    Man lernt auf Reisen Minimalist zu werden und sich nicht mehr über Dinge zu definieren. Es ist einfach ein tolles Gefühl wenn der ganze Ballast von einem abfällt und nur noch wir als Person übrig bleiben.

    Liebe Grüsse
    Eve

    Antworten
    • Sarah
      26. Mai 2014 um 8:09

      Hi Eve, vielen Dank. Es stimmt, es ist wirklich toll, wenn man den ganzen Ballast los ist. Super Gefühl und so viel mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge.

      Antworten
  • Michael Jahn
    25. Mai 2014 um 11:26

    Hey , wow ,
    sehr offen, sehr gut getroffen und auf den
    Punkt gebracht, sehr gute Anregung , Danke,
    weiter gute Reise 👍👍😄😄🌞🌞

    Antworten
  • knüsi
    26. Mai 2014 um 8:17

    genau, freiheit ist das magische wort! und zu merken, dass zeit das wichtigste gut ist, da nützt kein geld der welt. danke für den tollen bericht!

    Antworten
    • Sarah
      28. Mai 2014 um 4:46

      Da stimme ich dir absolut zu, Zeit ist das wichtigste Gut das wir haben.

      Antworten
  • Sarah | verwandert.de
    26. Mai 2014 um 12:20

    Ein toller Artikel und Beweggründe für das Reisen, die ich sehr gut nachvollziehen kann. Auch, dass man sich plötzlich dieses Korsett des Alltags zurückwünscht, kenne ich gut. Ich finde es auch oft schwierig, “zu viel” Freiheit zu haben. Aber ich glaube, das ist auch einfach eine Gewohnheitssache. Wenn man sich erst einmal an die viele ungewohnte Freiheit gewöhnt hat, ist auch das Reisen wieder ganz leicht. Ein sehr nachdenklicher Artikel, danke!

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    • Sarah
      28. Mai 2014 um 4:49

      Naja, die Momente sich ja auch selten, aber es gibt sie halt schon. Glücklicherweise weiss ich aber ganz genau, dass diese Momente nur bequemes Wunschdenken sind. Denn so wie ich jetzt lebe, ist genau das richtige für mich und ich würde mir den Alltag nie ernsthaft zurückwünschen.

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  • Michi
    27. Mai 2014 um 22:39

    Wenn du weiter mit dieser Qualität schreibst, dann fände Ich es sehr schade wenn Du kein Buch schreiben würdest….
    überlege dir dies doch noch einmal

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    • Sarah
      28. Mai 2014 um 4:51

      Danke fürs Kompliment, freut mich natürlich ungemein. 🙂

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  • die letzte Crew
    7. Februar 2015 um 23:20

    tja…warum wollen wir weg, warum reisen wir…wenn ich dann aus dem Hafen ausgelaufen bin, die Segel gesetzt sind, der Wind rauscht und wir die Zeit um uns rum vergessen…dann weiss ich warum – um genau diesen Moment zu erleben…

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    • Sarah
      9. Februar 2015 um 0:49

      Schön gesagt. Da gibts nicht mehr viel hinzuzufügen. 🙂

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